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Der Rabe - Mythenhüter, Todesbote, Spaßvogel

Der Rabe - Mythenhüter, Todesbote, Spaßvogel - Der Rabe - Mythenhüter, Todesbote, Spaßvogel
2023-01-12 16:52:00 / Info Allgemein

„Auf den Rabenklippen bleichen Knabenrippen und der Mond verkriecht sich duster ins Gewölk …“
(Ein Lied um Mitternacht zu singen, Heinrich Seidel). 

Zugegeben: Verglichen mit Omas buntem Wellensittich, hat der Rabe hierzulande ein rabenschwarzes Imageproblem. Bei Wilhelm Busch tritt er als „Hans Huckebein der Unglücksrabe“ auf, Edgar Allan Poe ist „The Raven“ gleich ein episches Schauergedicht wert und die Gebrüder Grimm erzählen von den „Sieben Raben“. Aus der griechischen Antike ist Äsops Fabel „Der Fuchs und der Rabe“ überliefert und in Ovids „Metamorphosen“ überbringt Apollos bis dahin strahlend weißer Rabe eine schlechte Nachricht – seither muss er zur Strafe Trauer tragen.

Unzählige Sagen und Erzählungen ranken sich um den oft übel beleumundeten Vogel: Unglücksbote, Gruselpiepmatz, Galgenvogel. Symbol für Trauer, Tod, Melancholie und Hoffnungslosigkeit aber auch Hochmut und Geschwätzigkeit. Wenig überraschend, dass der Volksglaube den Raben mit okkulten Kräften verbindet. Da kommt ein Buntspecht zwar deutlich fröhlicher rüber, aber der Rabe hat irgendwas Besonders. Es ist schwer, sich der Faszination dieses dunklen Burschen zu entziehen. 

Blitzende Augen, scharfer Blick, unheimlich krächzender Ruf, blauschwarz schimmerndes Gefieder – Fromme Christenmenschen fürchteten den finsteren Flieger schon immer. Bis in die Neuzeit stand Corvus Corax, so der lateinische Name des Kolkraben, in Nord- und Mitteleuropa für Leere, Tod und dunkle Mächte. Feind der Kirche, der personifizierte Aberglaube schlechthin. Kein Wunder, dass der Rabe Hexen und Zauberern gern auf der Schulter sitzt. 

Ein ganz schönes Schwergewicht übrigens. So ein ausgewachsener Kolkrabe bringt weit über ein Kilo auf die Waage! Raben können mehr als 30 Jahre leben und erkennen sich gegenseitig an der Stimme. Dabei verändern sie ihre Tonlage Artgenossen gegenüber je nach Sympathie oder Bekanntheitsgrad: Auf Unbekannte reagiert man rau und tief, Freunde werden mit höherer Stimme begrüßt. Der eindrucksvolle Umfang des „Rabenvokabulars“ geht weit über das typische „kraaah“ oder „rak, rak, kak“ hinaus. 

Wikipedia schreibt zum Laut-Repertoire der plauderfreudigen Schwarzröcke, es umfasse „`mehrsilbige, an Kolken, Grunzen, Rülpsen, Knarren, Sirren bis zu hellen Xylophonklängen erinnernde Laute´, bei mitteleuropäischen Raben wurden mindestens 34 verschiedene Ruftypen gefunden.“ Kolkraben imitieren Geräusche und Rufe anderer Tierarten, z.B. den Balzgesang des Auerhahns oder sogar Hundegebell. Berichte über „sprechende Raben“ sind wohl keine Mähr, denn manche der hochintelligenten Vögel können in Gefangenschaft zumindest einzelne Laute menschlicher Sprache wiedergeben. 

Nicht allein wegen ihrer Sprachbegabung tauchen Raben in so vielen Geschichten auf, sondern auch weil sie geschickt mit Gegenständen „hantieren“, extrem verspielt sind und reichlich unterhaltsame Akrobatik-Shows abliefern. Gemeinsames „Rodeln“ im Schnee ist beliebt oder sich „krächz-grölend“ einen Hang herunter rollen zu lassen. Ebenso Balancieren oder kräftiges Auf-einem-Ast-Schaukeln, gelegentlich bis zum Überschlag Typ Riesenfelge. Dünensurfen hat man beobachtet und auch „lustiges Abrutschen“ von Blechdächern gehört zum Raben-Fun-Sport-Programm. Echte Spaßvögel eben, diese Raben.

Als Eheleute eher konservativ, bleiben Raben ihr ganzes Leben monogam zusammen. In der Balz füttert sich das Pärchen gegenseitig, krault den Partner mit dem Schnabel und pflegt das Federkleid des anderen. Gemeinsam kreisen sie dann über ihr Revier. Dabei vollführen sie in gewagten Manövern Wellenflüge und Flugrollen und lassen Rufe wie „wang“, „raok“ oder ein sattes „klong!“ erschallen. 
Der schwarze Flugkünstler gilt mit einer Flügelspannweite von bis zu 130 cm als der bei weitem größte Rabenvogel Europas und war vor 80 Jahren an vielen Stellen fast ausgerottet. Die gute Nachricht: Mittlerweile haben sich die Bestände etwas erholt. Corvus Corax steht unter Naturschutz und überhaupt lässt sich auch aus dem Reich der Mythen weit weniger Schauriges über ihn berichten.

In vielen Kulturen erscheint der Rabe als schlauer Berater. Als mächtiger Magier, Mittler zwischen Göttern und Menschen oder gewitzter Himmels-Bote flattert er vom alten Europa bis nach Sibirien und Nordamerika: In den kühlen Küstenwäldern der Pazifikregionen Alaskas und Westkanadas verkörpert er für die Ureinwohner bis heute einen der höchsten Schöpfungs-Götter. In den Sagen der Haida Indianer brachte er nach dem letzten Weltuntergang das Licht in die Dunkelheit und half trickreich bei der Geburt der ersten Menschen, die am Strand aus einer Muschel herauszukriechen versuchten. Totempfähle, Skulpturen und andere indianische Kunstwerke bilden den Raben in allen möglichen Aktionen und schamanischen Rollen ab.

Schwarz muss nicht zum Gruseln sein, fanden die Germanen. Für sie symbolisierte diese „un-Farbe“ auch Ernsthaftigkeit, Nachdenken und Wissen. Der einäugige Germanen-Urvater und Götter-Chef Odin und hielt sich zwei Raben als ständige Begleiter, die auf die Namen Hugin (der Gedanke) und Munin (die Erinnerung) hörten. Sie flogen für den vielgestaltigen Gott der Weisheit unermüdlich durch die ganze Welt und berichteten ihm alles, was zwischen Himmel und Unterwelt geschah. So verbindet man in Europa den Kolkraben mit dem „alten heidnischen Glauben“ und verehrt ihn mancherorts bis heute als den „letzten Hüter altgermanischer Religion“.

Imageproblem? Von wegen, vergiss Omas Wellensittich! Ich liebe den Raben. Corvus Corax ist einfach ein zauberhafter Meister der Mythen und Geschichten! Ein verspielter Weiser, ein fröhliches Kind von guten Rabeneltern und ein wissender Freund, auch wenn die Stimmung mal ins Düstere kippt. Wenn ich ihn höre oder sehe, geht mir das Herz auf. Schon als Kind erfreute mich Christian Morgensterns „Der Rabe Ralf“, und fall ich in den Graben – ok, dann fressen mich eben die Raben. 

Text: Andreas M. Gross
Foto: shutterstock
 


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